parkTV


Reinhard Knodt
Vom Gehen in den Gärten...

Radiosendung: 1993/ Bayern II, Redaktion: Rainer Lindemann

 

Sprecher:
Der Garten ist seit Alters das Symbol der Sehnsucht. - Die Gärten der Semiramis, die Nilgärten, der christliche Mythos vom Paradies, (schon das Wort Paradies ist persisch und heißt Garten) das Perystil der alten Römer, der mittelalterliche Kreuz- und Klostergarten, die Rosen-, Paradies- und Liebesgärtlein des Barock, die fürstlichen Repräsentationsgärten und die sich überlagernden italienischen, französischen und englischen Stile des 18. und 19. Jh., die Volksparks, schließlich die Tivolis, die Idee der Gartenstadt, der moderne Freizeitpark und die Erlebnis- und Ferienparadiese unserer Tage - sie alle haben, trotz wechselnder Gestalten, eines gemeinsam: Sie sind Sehnsuchtsinseln gegen ihre Zeit - und sie sind es doch im Stil ihrer jeweiligen Zeit. Sie formen eine ideale Welt, in der sich Schönheit und Nützlichkeit, Kunst und Natur, Menschenbauwerk und Landschaft ineinander verkehren und so eine geheime Metaphysik und einen praktischen Anspruch verbinden. Wer einen Garten liebt, hat eine Religion, heißt es. Die buddhistischen Priester sehen Gartenarbeit als Ersatz für Mediation an, und für den gebildeten Europäer des 19. Jh. gab es eine Tätigkeit, die sich vor allem mit dem Garten, bzw. dem Park verband, und die heute in der Zeit der technikgestützten Erlebnisfreiziet ein bischen aus der Mode gekommen ist - das Spazierengehen. (Atmo: Morgen in einem Stadtpark /Band Nr. 1 )


Erzähler:
Es ist früh am Morgen, kühl..., der Tau steht noch auf dem Gras, Tropfen rinnen über die Banklehnen. Im Pavillon macht jemand sauber. Die Sonne fängt sich in den Fensterscheiben..... Ein Vogel zieht Würmer aus dem Boden... der Morgenverkehr -.....ein Duft nach Rauch, geröstetem Kaffee, frischer Blumenerde und Staub. Ja, die Parks am Morgen.... Wissen Sie, - jedesmal, wenn man hier jemanden nach einem Park fragt, heißt es: Die Eremitage!, Sanspareil! Der Hofgarten! das Heckentheater von Veitshöchheim....! -- Wissen Sie wie viel Parks mit dem Namen Sanspareil es gibt? ....In ganz Europa stehen sie, die Eremitagen und Sanspareils.... alle bestens saniert natürlich. --- Der Park, in dem wir uns gerade befinden.... stammt aus weniger hochherrschaftlichen Zeiten. Er hat ein eher.... demokratisches, beruhigend vernachlässigtes Aussehen. - Es ist niemand da ...-. Bald werden die.. Hundebesitzer kommen. Mittags machen dann die Angestellten Picknick, - dann die Kinderwagenparade.... nach fünf die... Feierabendjogger in ihren (verächtlich) Sweatshirts.... - abends... die Liebespaare.... Nicht viele, bloß die romantischen.... - ein ganz gewöhnlicher Park also, mitten in der Stadt, es gibt wunderschöne Buchen, einen Rosengarten, für den ein Damenclub 2500.- Mark gespendet haben soll und einen Brunnengarten, in dem ein paar der Brunnen auch noch intakt sind, Bambusstauden, Ilex, ein Ententeich --



- Ich .. habe nichts gegen Barockparks, ich war sogar dort und ich erzähle Ihnen gern die Hintergründe und die Baugeschichte aller Orangerien hier in der Gegend.. - Doch.... verstehen Sie mich nicht falsch, man verrennt sich so leicht in eine ganz bestimmte Art Besichtigungstourismus Und dann sitzt man stundenlang im Auto und fotographiert anschließend den Monopterus und liest im Führer, daß die Markgräfin Wilhelmine in der Eremitage Sanssouci kopiert habe...-. Dann nickt man, wirft noch einen Blick aufs Nymphäum und geht ins Restaurant...
- Ah-h..ch, wie das riecht hier!... - Also, manche joggen ja ausschließlich in Parks, die haben die Kunst des Spazierengehens völlig verlernt. Ich habe da andere Spezialitäten - In diesem Park gefällt mir... das Zeitungslesen am besten - .. So oberflächlich blätternd in der Weitläufigkeit des Weltgeschehens, während man am sonnigen Tischchen sitzt und genausogut über den Teich schauen könnte oder ein Gespräch beginnen - mit einer wildfremden Person! Na ja,... ich fahre halt nicht gern mit dem Auto bei Sonnenhitze über die Autobahn, um dann ein Stündchen den Rosengarten in Bamberg oder die Rehe in Pommersfelden zu bestaunen, während die Kinder ihre neuen Electro-cars auf dem Kiesweg ausprobieren... -. Ich hab`auch nichts gegen Electro Cars oder Besichtigungstouren, ...aber - das mit den Parks muß anders gemeint gewesen sein, denke ich mir.... Fürst Pückler Muskau zum Beispiel... (unterbricht sich kurz)
- Wie bitte? --
- Ach so! - ja, stellen sie's bitte hierher, und ein Mineralwasser bitte. -
ca. ++++++(7 Minuten)

Sprecherin:
Inwiefern der Garten den idealen Bezug des Menschen zur Natur symbolisiert, kann man verstehen, wenn man in die Philosophie des Gartens blickt. Eine wirkliche "Gartenphilosophie" gibt es natürlich nicht, ja, der Garten wurde von den meisten Philosophen sogar sträflich vernachlässigt, was darüber belehrt, wo sie sich meist aufhielten. Vielleicht ist es aber dennoch berechtigt, zum Beispiel Amos Comenius, den Verfasser des in Nürnberg 1657 erschienenen "Orbis pictus" als einen Gartenphilosophen zu bezeichnen. Er forderte zum Beispiel als erster einen Schulgarten und auf ihn geht auch die Rede vom "Kindergarten" zurück. - Der Mensch, so lautete sein Hauptsatz, hat das Paradies zwar verloren, aber im sozialen Zusammenleben, im Glauben und durch das Mittel der Erziehung kann er es sich wieder einrichten, und zwar, wenn er versucht, "selber ein Garten zu sein".

Sprecher:
Wie ist oder wird man selber ein Garten? - Sehen wir uns zu diesem Zweck den berühmtesten aller Gärten an, - nein, keinen Barockgarten, weder den von Veitshöchheim noch die Würzburger Residenz, obwohl diese Gärten wesentliche Bestandteile der Ideen des Comenius ausdrücken, doch, der Reihe nach, der erste Garten ist - das Paradies!

Zitator: (Text Comenius):
- "Als Gott am Anfang den Menschen aus dem Staube der Erde erschaffen hatte, setzte er ihn in das Paradies, den Garten Eden...nicht allein, daß er ihn bebaue...sondern, daß er selbst auch ein Paradies sei. In dem Paradiese war jede Pflanze die dort wuchs, schön anzusehen und lieblich zu essen von allem...und auch in dem Menschen sind jeglicher Weltstoff und alle Stufen der Schönheit und der Gestalten und die ganze Kunst der göttlichen Weisheit...gleichsam in einer Masse zusammengetragen." -

Sprecherin:
Der Paradiesgarten des Amos Comenius ist also ein zweifacher. Es ist einerseits jener Garten, für den von überallher die "Gewächse der Welt" zusammengetragen waren - "lieblich anzusehen und voller Wohlgeschmack," - und es ist andererseits der Mensch selber als "Bündel" edelster Stoffe, die "im Himmel und auf Erden" zusammengetragen wurden. Wenn der Mensch aus dem Paradies vertrieben wird, so ist dies die Vertreibung aus einem schönen Garten in eine Wüste, und diesem Zustand entspricht dann auch eine "innere" Wüste, unsere Unfähigkeit also, den Wert unserer Umgebung wirklich zu empfinden und ihrem Reiz und ihren Möglichkeiten entsprechend einzurichten.

Zitator: "Hinausgeschleudert sind wir in die Einöden der Erde; und selbst zur Einöde und zu einer abscheulichen, unsauberen Wüste geworden."

Sprecherin:
Der Aspekt der Schönheit, des Angenehmen, des Wohlgefälligen, des Lieblichen, die Tatsache, daß das Paradies den Sinnen schmeichelt, daß die Augen, die Ohren, die Nase erfreut und der Geschmacksinn erfüllt wird, zeigt: Schönheit ist für Comenius nämlich noch kein abstrakter Gegenstand oder bloß ein Anspruch auf ein allgemeines intellektuelles Urteil, sie ist vielmehr ein Sinnenvergnügen, deren Quelle in der Harmonie der Schöpfung liegt. Das Paradies ist schön, das heißt, es schmeichelt den Sinnen, es ist "angenehm", darin zu sein. Der Mensch "freut" sich der ihn umgebenden und in der Natur sichtbaren Harmonie.

Zitator:
"Daß der Mensch sich der Harmonie freue und derselben begierig nachgehe, ist offenbar, denn wer sollte sich nicht freuen an einem schönen Menschen, an einem zierlichen Rosse, an einem hübschen Bilde,... Ich frage ferner, wen rührt nicht Musik? Der Mensch selbst "ist Harmonie", und wie die Erde einer kunstvollen Uhr gleicht, so auch der Mensch - Das Mobile seines kunstvoll gebauten Körpers aber ist - das "Herz".

Sprecherin:
Selber ein Garten sein, das heißt, der Mensch soll sich nicht einfach als "Herr eines Gartens" verstehen. - Er ist vielmehr Teil der Natur und wie diese "kunstvoll" und in ursprünglicher Harmonie mit seiner Umgebung geschaffen. Am realen Garten und in der Verantwortung für reale Gestalten der Natur und ihre Schönheiten, lernt er also, was er im Labyrinth der WElt vergessen hat, wieder. Atmo: Maximum (Rolltreppen, Kassengeräusche...)

Erzähler:
Sie verzeihen, es ist etwas laut hier, aber wir sind in einem Garten! In einem Garten des beginnenden 21. Jahrhunderts allerdings. Daß es sich überhaupt um einen Garten handelt, bemerkt man nicht gleich. Man kann es aber nachweisen. Hier stehen zum Beispiel ein paar Gartenmöbel, Palmen daneben in Kübeln, es gibt ein Kaffee, einen riesigen Wasserfall, der die Front des Nebenhauses zudeckt, einen Kiosk, ein unendliches Labyrinth von Wegen, Rolltreppen, Gängen, Warenstapeln. Sogar Sonnenschirme sind aufgestellt, aber die halten natürlich keine Sonne ab, sie erinnern nur wie von fern an den Strand von Bahaia... - ... In den Boutiquen Life-stile Plakate, Handtaschen, Parfüms,.... ein Laden mit Hologrammen. Man hat das Gefühl, hier gibt es keinen einzigen Gegenstand, den man wirklich braucht. Die Leute kommen, um schnell einen Kaffee zu trinken, der Wasserfall rauscht, die Fransen der Sonnenschirme flappen im Wind der Ventilatoren, die Rolltreppen stöhnen, Musik dazwischen. Und dann kauft man etwas, ein Plakat, einen Aschenbecher mit der Aufschrift "New York" oder eine Zeitung.
Ein unbedarfter Zeitgenosse würde "Kaufhaus" zu so etwas sagen, doch, da gibt es einen feinen Unterschied. Dies hier ist ein postmodernes Kaufhaus, eine sogenannte "Mall".

Sprecher:
- Das englische Wort "Mall" heißt "Promenade". Die Promenade ist eine bestimmte Art des würdigen Gehens - Stellen wir uns eine Hofgesellschaft vor, wie sie, die Damen mit Sonnenschirm und die Herren mit seidenem Sitzkissen, durch den Park von Versailles promenieren um ein Wasserspiel zu betrachten. Dann ist die Promenade aber auch die Flanierstraße. - Als Lady Montague auf ihrer Reise in die Türkei für ihre Freundin Mrs. Skerrit im Jahr 1716 Brüssler Spitzen einkaufen soll, geht sie, wie sie schreibt, auf die "Maille der Vornehmen", also auf die "Mall".

Zitatorin:
" Hier sind verschiedene herrlich gebaute, viereckige offene Plätze, und, was mir eine besondere Schönheit erscheint, alle mit hohen und dichtbelaubten Bäumen besetzt. Voorhout ist zugleich der Hydepark und die Maille der Vornehmen, sie gehen und fahren da spazieren. Hier gibt es Buden mit Waffeln, Eisgetränke usw..."

Sprecher:
Warum man ein Kaufhaus als Mall bezeichnet, ist also klar, und jetzt ist es vielleicht doch einmal Zeit, uns der barocken Gartenfestlichkeit zuzuwenden, um, wenn auch nur andeutungsweise, den Ursprungsort jener im Kaufhaus natürlich nur zitierten Stimmung kennenzulernen, den die barocke Festlichkeit entfaltete...

Sprecherin:
In den Bamberger Hoftagebüchern findet sich ein Bericht über den Besuch des Markgrafen von Ansbach beim Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim im Schloß Seehof. Seinsheim hat den berühmten Veitshöchheimer Park, den Schönborn und Balthasar Neumann angelegt hatten, mit Hilfe des "Hof- Zier und Lustgärtners Johann Prokop Mayer", sowie des Bildhauers Ferdinand Tietz ausgestaltet. - Er war Mitglied des römischen Kirchengerichts und dürfte einer der einflußreichsten geistlichen Fürsten seiner Zeit gewesen sein. Dennoch widmete er sich ausgiebig den Gärten und eben auch dem gartenfestlichen Zeremoniell des besagten Pfingtsbesuchs.

Sprecher:
Im Schloß Seehof waren alle möglichen Vorkehrungen zum Empfang der Gäste getroffen, ein Konzert, eine Oper waren einstudiert und Künstler einquartiert worden. Zusätzliche Dienerschaft wurde angeheuert und allein das Küchen- und Kellerpersonal wurde so vermehrt, daß es für die Tage des Besuchs aus folgenden Personen bestand:

Zitator:
" Ein Küchenschreiber, ein Küchenmeister, vier Mundköche, ein Bratenmeister, zwei Kavaliersköche, ein Ritterkoch, acht Gehilfsköche, ein Zehrgeber, ein Metzgerknecht, ein Stockfischwässerer, zehn Küchenjungen, drei Schlotfeger, vier Küchenweiber, drei Hofkonditoren, zwei Stadtkonditoren, zwei Konditorjungen. zwei Konditormägde, ein Hofmundschenk, ein Hofweinspeiser, acht Büttnergesellen. Dazu kamen noch an weiteren angenommenen Bedienten vier Saaldiener Mägde, vier Mägde zur Silberkammer, vierzehn Dienstjäger, neunzehn Hoflivreediener und eine Anzahl Peruquiers und Barbieren."

Sprecherin:
Der Festbesuch kam am 30. Mai im Schloß an, der 31. Mai, verlief folgendermaßen:

Zitator:
"Nach genauer Erkundigung, ob höchste Herrschaften erwacht wären, wurde der Morgensegen mit Trompeten und Waldhörnern in dem großen Saal geblasen und der Gastgeber schickte einen Edelknaben mit dem Morgenkompliment zu den höchsten Herrschaften. Und da bekannt geworden, dass die Frau Markgräfin angekleidet, verfügten sich Celsissimi in Höchst ero Audienzzimmer und wurde dann eine Promenade in den Garten gemacht. Bei Tafel geschah bei allen die untertänigste Bedienung. Nach getrunkenem Kaffee und geschehener Retirade verfügten sich Celissimi zu Höchsten Herrschaften und bald danach fuhren sie in dem in Bereitschaft stehenden Gartenwagen in das Opera Haus im Park, um der wohlpräparierten Operetta Giocosa La Schiava amorosa beizuwohnen. Nach geendigter Operetta verfügten sich Höchste Personen in Begleitung des gesamten Hofes ins fürstliche Gartenhaus. Das Souper wurde dort im grossen Saal serviert. Gespeist wurde von dem Service mit japanischem Dessin. Danach standen alle Gartenchaisen in Bereitschaft, um Höchste und andere Herrschaften in das Schloss zurückzufahren...

Sprecherin:
Und für den folgenden Tag notiert der Bericht:

Zitator:
"Der Herr Markgraf ritten vormittags in den Wald und erlegten zum innerlichen Vergnügen zwei Hirsche. Nachmittags bestand das Amusement höchster Herrschaften in dem musikalischen Konzert, welches auf dem Gartentheater aufgeführt worden ist. Nach dem Souper fuhren die Höchsten Herrschaften im Garten herum, um die daselbst aufgeführte Gartenbeleuchtung, sowohl als auch die Hauptillumination des grünen, recht majestätisch hergestellten Hofes ...in Augensschein zu nehmen. Im Garten waren auf Pfosten und Bäumen 960 von Papier gefertigte Laternen aufgerichtet, am Schlosse selber waren an vielfarbigen Laternen 1300 angebracht, und zur Illumination der Fasanerie sind von den gefärbten Laternen 220 verbraucht worden.. Endlich war das Theater in angenehmen Verziehrungen mit 4000 Ampeln beleuchtet; das Amphitheater hingegen war mit 300 brennenden Wachskerzen mit bestem Effekt und zum größten Vergnügen geziert.... Nach vergnügter Beschauung dieser wohlausgefallenen Illumination retournierten höchste Herrschaften mit Pauken und Trompetenschall ins Schloß und wurde Feierabend um 2 Uhr..."
(Atmo Auto innen)

Erzähler:
..."Retournierten höchste Herrschaften... Sehen Sie, jetzt sind wir doch im Barock. Also man kommt nicht drum herum,... Vermutlich liegt das am gebildeten Begleitpersonal im Troß dieser "höchsten Herrschaften", den Proffessoren, Dichtern, Malern, Gartenbaukünstlern... Kennen Sie Sans Pareil? Also - wir fahren jetzt nicht nach Sans Pareil, nicht daß Sie denken! Wir fahren in einen Ort namens "Freudenpark", in dem eine Dichterlesung stattfindet, aber - Sans Pareil wäre natürlich ein gutes Beispiel für den Zusammenhang zwischen einem Garten und gewissen intellektuellen Sehnsüchten...

Rezitator:
" In Friedrichs frohem Götterhayn,
ist GOTT und Friedrich groß zu nennen.
Theater, Grotten, Wald und Stein,
Erhebet den Geschmack der Brennen
Natur und Kunst nimmt hier den Sitz,
nicht minder reizend als auch nütz,
Wo Berg und Thal dazwischen dringen. (verklingt)
Hier sieht das Auge sich nie satt,
Das Ohr wird nie vom Höhren matt
Oh möcht' mir davon anitzt ein Lied gelingen....

Sprecher:
"Sanspareil" in der Nähe des oberfränkischen Ortes Zwernitz diente einer anderen Art des höfischen Rencontre als der eben erwähnte Seehof. Nicht so sehr der Markgraf Friedrich, den der Dichter Floridon vom pegnesichen Blumenorden hier nebst Gott lobt, sondern seine Frau, Wilhelmine, die Schwester Friedrich des Großen und markgräfliche Gattin, hat "Sanspareil" gebaut: In der Bayreuther Eremitage hatte sie das Sanssouci ihres Bruders mit seinen Musentempeln, den Wasserspielen und der Orangerie nachempfunden, in Sanspareil kopierte sie einen - Roman. Sie schuf eine Bühne für die mehr oder weniger naturgetreue Aufführung des Abenteuer- und Bildungsromans "Les aventures de Telemaque" von Fénelon. Francois de la Mothe Fenelon schrieb diesen - eine poetische Fortsetzung des 4. Buches der Oddyssee - in seiner Eigenschaft als Prinzenerzieher am Hof Ludwig des 14. Darin sucht Telemach, der Sohn des Odysseus, seinen Vater, besteht viele Abenteuer, begegnet verschiedenen Herrschern der Antike, steigt in die Unterwelt, trifft die Nymphen Calypso und Calliope, verliebt sich unsterblich und kehrt schließlich zurück.
Fenelon entwirft, zu Erziehungszwecken, wie er sich entschuldigt, ein Idealbild des guten Herrschers, das man als Kritik der absolutistischen Prachtentfaltung - verkörpert in der Person Ludwig des 14., las. Der ideale Herrscher, so heißt es da, sei fromm, loyal, volksnah ohne sich gemein zu machen, friedliebend und - vor allem sparsam! Die Schwester des Preussenkönigs war begeistert von diesen Ideen und setzte sie in der fränkischen Provinz in die Praxis um - in die Praxis des Gartens natürlich, oder genaugenommen - sie schuf einen Ort, an welchem man die geforderte Einfachheit, Schlichtheit und Volksnähe des Herrschers bühnenmäßig darstellen und nachempfinden konnte.

Sprecherin:
Die Hofgesellschaft, die den Telemach aufzuführen hatte, wurde natürlich nicht in den frisch gebauten Grotten und Höhlen der Jurafelsen von Sanspareil untergebracht. Stattdessen entstanden vor dem Eingang des Haines nach Plänen des Pariser Architekten Joseph St. Pierre Kavaliershäuschen, ein Küchenbau, ein Speisesaal und Nebenräume im morgenländischen Stil, sowie ein "Serail", in dem sich bequem wohnen lies. Der Götterhain selber wurde teils natürlichen Gegebenheiten ensprechend, teils chinesichen Gartenvorbildern folgend, in eine bizarre Landschaft aus, Pavillons, Brückchen, Grotten, Pagoden und Belvederes umgeschaffen, ein Äolsberg, eine Grotte des Vulcans, die Allee der Sybille, die Grotte der Calypso, eine Schaubühne, eine Dianengrotte und ein "in der Lufft hangender Lußtgarten", der an die hängenden Gärten der Semiramis erinnern sollte, wurden angelegt. Man führte wohl auch die eine oder andere belehrende Szene aus dem Fenelonschen Roman auf, was den einen oder anderen Theaterkünstler ins Brot setzte, ansonsten jedoch war der Park für sich schon Tat genug; die Markgräfin jedenfalls soll sich mit dem Markgrafen gern in die hängenden Gärten zurückgezogen haben, um Briefe schreiben oder zu "regieren", wie es heißt.

Rezitator:
Hier half die gütige Natur
Des Schöpfers Weisheit Größ und Stärke
Sophiens Forschen auf die Spur
Und wies sie Ihrem Augenmerke
die weise Fürstin fand den Wald
Im Kleinen ebenso gestalt'
wie Telemachs und Mentors Reisen...
warum? - sie gleichet selbst Minervens Bild und Weisen..
(verklingt)
(25 min)


Atmo:
Freiland, Vögel...

Erzähler:
Ja, ja, Fenelon, der preussische Hang zum Sparen - und die Lobeshymmnen des pegnesischen Blumenordens.... Floridanus, Myrtilus, Dorilies... hübsche Namen hatten sie sich gegeben, die fruchtbringenden Dichter; Pseudonyme, würde man heute sagen --- Beim "Leyher-rühren" und "Preis- und Odensingen", konnte man ja schließlich nicht in antiker Sehnsucht schwelgen und zugleich dasteh'n als der allseits bekannte Rathsherr Harsdörffer oder der Professor aus der Nachbarstadt oder gar der Pfarrer aus Wonnsees...-. Nein, die Neigung zum seidenbebänderten Schäfergewand bei Hof, und die des fränkischen Geistesadels in Kraftshof, entsprach sich durchaus. Es könnte eine hübsche Anlage gewesen sein, der "Irrhain" des Nürnberger Trichterdichters und der Dorelies und des Myrtilus. Jetzt stehen ein paar Eichen um den Gedenkstein, zwischen Endivien und Krautsköpfen im Nürnberger Knoblauchsland....

Sprecher:
Das Labyrinth fehlte in keinem Barockgarten. Es symbolisiert nicht nur das antike Labyrinth des Minos auf Kreta. Es ist in der vorgeblich so geordneten und rationalistisch durchgeprägten Welt des absolutistischen Hofes auch der sinnlich faßbare Hinweis auf die Unsicherheit des strategisch Planvollen, auf die Möglichkeit der Verirrung, wie auch auf die damit verbundene Lust. Das Verirren, bewußt oder unbewußt, das Sich-treiben-lassen, bis man tatsächlich nicht mehr weiß, wo man ist, das ist jener berühmte "Umweg zu sich selber", von die Theoretiker des Flanierens und Spazierens so oft geschrieben haben. Man ist nie weiter, als wenn man nicht mehr weiß, wo man ist, so Goethe. Der Flaneur, der sich heute im Geschehen einer Stadt treiben läßt, weil er im Grunde ja sicher ist und eben nur gedankenverloren und inspiriert eine Umgebung voller kleiner Überaschungen und Quisquilien genießen will, hat, durch alle möglichen Zwischenstufen hindurch und coum grano salis sein Urbild also im Höfling, der im barocken Park den sanften Schrecken des Verirrens ausprobiert, oder sich während der Promenade mit seiner Dame für einige Minuten im Labyrinth verliert.

Sprecherin:
Die Labyrinthe, die stilprägend für ganz Europa waren, sind durch die englische Auffassung vom Spazierengehen und durch die Öffnung der Parks in die Landschaft hinaus fast überall aufgelassen worden. Der Park des Barock war alles in allem eine Angelegenheit des erweiterten Schloßbaus gewesen, eine vergrößerte, hauseigene Promenade sozusagen, wo man das "Sich Verlieren" künstlich im Labyrinth inszenierte. Die Promenade war Selbstdarstellung und ansonsten ein geistig ästhetisches Schweifen der Höflinge. Dazu gehörte nicht nur Musik, die Oper, oder das Vexierspiel der Bühne. Es gehörten dazu auch jene steinernen Mitspieler, die allegorischen Darstellungen, Putti, das kunstvoll geführte Wasser, das Arrengement der Terassen, der Treppengalerien, Bousquetten, Hecken, Alleen und Sterne, die den Geist erweitern und eine Assoziationslandschaft schaffen sollten. "Landschaft" war also - wie selbst noch in der Eremitage Bayreths - ein kunstvolles Arrengement aus Musenhäuschen, Pavillons, Bellevues, (also architektonisch gestaltete Aussichtspunkte), der Fasanerie, (einem eingegrenzten Waldstück zur Züchtung von Fasanen), dem Parnaß (als Symbol und Reich der Dichtkunst), der Orangerie, und schließlich den Einsiedeleien, die seit Ludwig dem 15. im Versailler Park als "Eremitages" Mode wurden und dem privaten Rückzug offizieller Persönlichkeiten dienten.
(+++34. min)

Sprecher:
Vielleicht interessiert Sie noch ein nostalgischer Blick auf eine Inventarliste der Orangerien, die der Gärtner Georg Wolff am 16. July 1726 in Christian Erlang nach Inspektion anfertigte?

Zitator:
"Über die dem Hofgärtner Geog Wolfen nach dem 33.ten Punct des mit demselben bei der Hochfürstlichen Cammer getroffenen Contracts übergebene Orangerie, dann nach experierung sothanen Contrakts in quali et quanto zu restituiren seyenden Wagenfarth, Garten Geräth und dergleichen:
123 Pomeranzenbäume in viereckigen großen Kästen, worunter 11 Citronen und 3 Adass Äpfel begriffen
36 dergleichen in runden Kästenkübeln
16 Lorbeer Bäume in 6 Kübeln und 10 Scherben
8 gemeine Feigen in Kübeln
22 detto in Scherben
1ne Olive in Kübel - ist gar schlecht
(verklingt, bleibt als Hintergrund stehen)
...1 Lauristianus in Kübel
14 spanische Jasmin
2 Julia glorosa in Kübeln
150 Rosmarin auf dem Mist-Beth

Sprecherin:
(ab 1 Lauristianus... drübergelegt)
Eine spärliche Austattung übrigens; Erlangen war im Vergleich zu Bamberg, Triesdorf, Ansbach usw. regelrecht arm. Überhaupt hatten die Erlanger Parkgärtner einen schweren Stand. Ihr Park wurde nach Gründung der Universität, so heißt es an anderer Stelle, zum Leidwesen "des allergrößten Teils für Studenten und Professoren verbaut."

Zitator (wieder gut hörbar):
Zu Weißenstein sind bey 3000 Orange-Bäume mittelmäßiger Größe, und der schönsten großen Früchte ungemein vollhangend...Und werden jährlich über 1000 Stück junger Orange Bäume nachgezogen.
Zu Seehof sind die Orange Bäume nicht so groß, alß wie zu Weißenstein, Es wäreden Früchte zu ihro Churfürstlichen Gnaden auf Maynz geschickt. ... Hierzu sind zwei große Glashäuser, worein auch zugleich die Winterung mit gerichtet ist. Worinnen unter der Erden irdene oben aber in jedem Glashaus 2 runde eißerne Öfen stehen und mit wenigen Holz geheizet werden. "
Der Bericht des Georg Wolf führt auch genau auf, wohin die Früchte geschickt werden, welche Blumenstöcke, Bouscagen und welche Arten Spalierobst in den fünf großen Anlagen verteilt sind. - Man sollte vorsichtig sein, wenn man die Gartenkultur des Barock nur als Repräsentativkultur oder gar als Flucht vor politischer Verantwortung auslegt. Die Musenhöfe der Doudezfürsten, wie auch der Kirchenfürsten, dienten gerade durch ihre Repräsentation als große Bühne der Selbstdarstellung und der gesellschaftlichen Diskussion, dem Gespräch und der Reflexion einer herrschenden Schicht, die die geistigen Anregungen ihrer Zeit zu ballen und aufzuarbeiten versuchte. Die Prachtentfaltung, die Natur- und Antikenbegeisterung, hat bei aller Naivität oder Übertreibung also immer eine Verbindung zu Vorstellungen, die dem Garten als einer gesellschaftlichen Praxis einen praktischen Sinn gaben.

Erzähler: (seuzfend beginnend, dann aber schnell in Ironie umschlagend):(Atmo: Auto von innen)
Tja, es gehört eben Bildung zum Parkgenuß... und genaugenommen, ist das Gehen in einem Park doch nichts als das Spazierenführen unserer inneren Eitelkeiten .... oder? - In einem Park fühlen wir uns wohl, weil er die große Bühne für unsere Bildung ist, für unsere erhabenen Gefühle und die hochfliegensten Pläne.... Sehen Sie, die geheime Verführung des Luxus besteht doch wohl darin, daß man nach kürzester Frist davon überzeugt ist, man wäre jemand, der ihn auch verdiene.....-. und dann geht man herum und denkt sich in die Gebildeten und Mächtigen hinein, und man entdeckt einen Steinsatyr und erinnert sich daran, wie ausufernd doch jetzt über den Dionysosmythos oder sein satyrisch flanierendes Begleitpersonal mit Hörnern, verkniffenen Augen, Bocksbeinen und sonstigen Ungehörigkeiten geredet werden könnte, - und dann kommt man auf den Belvedere und die Seele wird weit, wie der Blick, zu dem man natürlich zielgerecht geführt wurde.... Ja, doch! das Gehen in einem Park bedarf der Bildung, es ist - eine Kunst!
Da wären zum Beispiel die Stimmungen: Die alten Gartenbaulehren haben großen Wert auf die Atmosphären gelegt, die in einem Park arrangiert wurden. Parks sind Stimmungskunstwerke. Man wird ohne daß man es bewußt bemerkt, von Stimmung zu Stimmung, von Atmosphäre zu Atmosphäre geführt. Von der heiteren Atmosphäre einer Blumenterasse zur melancholischen Atmosphäre eines Brunnens, oder zur herrschaftlichen Atmosphäre einer Allee. Schnell fließendes, seichtes Wasser wirkt erheiternd, stehendes dunkles Wasser, wirkt geheimnisvoll. Stehendes tiefes Wasser, in das Sonnenstrahlen dringen, wirkt tröstlich. Wasser im Schatten wirkt ernüchternd. - Wußten Sie das? Die Gartenbaulehrenm des 18. Jh. Hirschfeld etwa, würden endlose Kommentare zu solchen Beobachtungen und Möglichkeiten liefern. Machen Sie sich doch einmal auf die Spur ihrer Stimmungen, indem Sie einen Park durchstreifen..

Zitator:
" Die sanftmelancholische Gegend bildet sich durch Versperrung aller Aussicht; durch Tiefen und Niedrungen; durch dickes Gebüsch und Gehölz, oft schon durch bloße Gruppen von hohen, stark belaubten nahe aneinander gedrängten Bäumen, und deren Wipfeln ein hohles Geräusch schwebt, durch stillstehendes oder dumpfmurmelndes Gewässer, dessen Anblick versteckt ist, durch Laubwerk von einem dunklen und schwärzlichen Grün, durch tief herabhängende Blätter und überall verbreitete Schatten... In einer solchen Gegend fallen sparsame Lichter nur durch, um den Einfluß der Dunkelheit vor dem Traurigen oder Fürchterlichen zu schützen. Die Stille und die Einsamkeit haben hier ihre Heimat. Ein Vogel, der ungesellig umherflattert, eine Holztaube, die in den hohlen Gipfel einer entlaubten Eiche girrt und eine verirrte Nachtigall, die ihre Leiden der Einöde klagt - ist zur Ausstaffierung der Szene schon hinreichend."
(Atmo wechselt während des Folgenden von Auto innen über das Aussteigen im Straßenverkehr bis zur gedämpften Musik und den hörbaren Unterhaltungen im Freudenpark...)

Erzähler:
Atmo (Man hört, wie der Erzähler aussteigt, Freudenpark außen, Verkehr)

Erzähler:
Der "Freudenpark" ist zugegeben wieder ein etwas ungewöhnlicher Park. Er ist gewissermaßen der Nachfolger des Irrhains. - Und... bitteschön... Sie könnten der Ansicht sein, daß es sich dabei eher um eine Bar handelt!... Doch das wäre auch wieder nicht richtig. Da ist zum Beispiel der Eingang - ein kleiner Teich mit stehendem Wasser, Binsengewächse darin, eine Holzbrücke, Rasen, Tuja, Wacholder, Tannengrün, -.. die Weitläufigkeit geht dem Freudenpark ab. Aber dafür steht eine englische Telephonzelle zwischen den Tischen, die die Kontakte in alle Welt symbolisiert. Ein wichtiges Element! Ohne diese Symbole funktioniert gar nichts in der Welt des Flaneurs. Natürlich wieder Sonnenschirme! - Ein Trinkbrunnen, eine Baumtheke, Kieswege, hell,
(Atmo Preudenpark innen (Musik, Gespräche)
...das Innere ist tatsächlich ein Bar; sehr hoch, sehr geräumig, eine Galerie, ein mächtiger Flügel in der Mitte des Raumes zwischen allerlei Tischen, Sofas und Spiegeln. - Hier treffen sich heute die Poeten, während der alte Irrhain draußen vor sich hinschweigt.. (Man hört die Einführung gleich darauf spricht aber lauter der Erzähler weiter:)
...Ein intimes Publikum, erlesen ...jedenfalls der Sekt ...und sehr anständig das Frühstücksbuffet. Hierher wird schriftlich eingeladen, und ... wer hier liest, hat es geschafft, oder ist auf dem besten Weg dazu, - zugegebenermaßen eine Bildungsangelegenheit aber - Parks sind ja eine Bildungsangelegenheit - und "die Prosa ist gut heute Morgen" - ich bitte Sie, für wie viel Menschen hat so ein Satz denn irgend eine Bedeutung?...-.. An der Wand, Golfschläger, Whyskyetiketten, ein meterhohes Ölbild, das Ganze hat etwas von einem, sagen wir mittelfeinen englischen Club, durch weißvergitterte Fenster sieht man nach draußen - ich möchte nicht gerade sagen, aufs bowling green, aber doch auf die Sonnenschirme..
(Man hört den Leser beginnen (Ende bei dem Wort "Garten" )

Sprecher:
Die Geschmackswandlung in Europa hin zum Landschaftspark, bzw. zum Vorbild des englischen Stils hat mehrere Aspekte. Da ist zum einen der theoretische. Schon der schottische Philosoph und Ästhetiktheoertiker Francis Hutcheson hatte 1725 eine berühmte Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen der Schönheit und der Tugend geschrieben, in der er die Auffassung, das Schöne habe bloß mit Harmonie, Gleichklang oder geometrischer Harmonie zu tun, wiederlegt und stattdessen zeigt, daß bestimmte Spannungsverhältnisse, etwa das von Form und Inhalt, von Einheit und Vielfalt in einer Figur oder einem Gegenstand für unser ästhetisches Urteil viel wichtiger sind.

Sprecherin:
Hutcheson führte dabei breit die Lehre des sogenannten "ästhetischen Humanismus" Shaftesburys aus, nach der wir ein ästhetisches, wie auch moralisches Gefühl hätten, das befriedigt, erregt oder auch verletzt werden kann. Shaftesburys Ansichten wurden in Deutschland von Schiller und Wieland populär gemacht und auch von Goethe in der Parkkonstruktion, etwa in Weimar verwirklicht. Der ästhetische Humanismus Shaftesburys vertraute nicht irgendwelchen schulmäßig faßbaren philosophischen Doktrinen, sondern der Fähigkeit, in beredter, weltmännisch eleganter Sprache ein Gefühl für das Lebenswerte auszudrücken und anderen nahezubringen. Dieses Weltgefühl, d.h. die Seelenlage eines Menschen, der in einem geistigen Sinne zum "Flanieren" fähig, zum anregenden Gespräch jederzeit bereit und in der Lage, und der gleichzeitig welterfahren und weltfreundlich, ohne ethischen Rigorismus seinen Sinn dem Schönen offenhält, wird nun ein europäisches Bildungsideal.

Sprecher:
Was Shaftesbury vorschwebte und was Hutcheson theoretisch vorbereitet hatte, erbringt eine Generation später einen praxisbezogenen Angriff auf den französischen Garten, wie auch auf den barocken Landschaftspark. Er wird in der Philosophie Jean Jaques Rousseaus vorgetragen.

Rezitator: (Rousseau)
" Der Irrtum sogenannter Leute von Geschmack ist es, daß sie überall Kunst fordern und nie zufrieden sind, wenn sie nicht in Erscheinung tritt, während hingegen wahrer Gschmack darin besteht, die Kunst zu verbergen, zumal, wenn es sich um Werke der Natur handelt. Was sollen jene schnurgeraden mit Sand bestreuten Alleen, die man ohne Unterlaß findet, jene Sterne, die weit davon entfernt, die Außmaße eins Parks, wie man sich einbildet, für das Auge zu vergrößern, nur auf ungeschickte Art seine Grenzen zeigen? Sieht man denn in Wäldern Sand aus Flüssen...braucht die Natur ohne Unterlaß Winkelmaß und Richtschnur? Fürchten Sie etwa, daß man trotz der Mühe, die sie sich geben, sie zu verunstalten, sie gleichwohl an irgend etwas wiedererkennen könnte? Ist es schließlich nicht lustig, daß sie, als wären sie schon am Anfang ihres Spazierganges müde, darauf bedacht sind, in gerader Linie zu promenieren..."

Sprecher:
Schließlich, kommt Rouesseau auf den Grundgedanken des englischen Parks und dieser ist mehr als als bloß eine Philosophie des Gartens, er enthält wie auch schon bei Comenius und Shaftesbury eine Philosophie des Lebens.

Zitator:
" Was wird also der Mann von Geschmack tun, der lebt um zu leben, der sich selbst zu genießen weiß, der die wahren, einfachen Freuden sucht und einen Spazierweg vor der Tür seines Hauses anlegen will? Er wird ihn so bequem und anmutig einrichten, daß es ihm dort zu allen Stunden des Tages gefallen kann; zugleich aber so einfach und natürlich, daß es aussieht, als sei nichts daran gearbeitet worden. Er wird Grün, Wasser und Schatten und Kühle vereinen; denn das alles vereint auch die Natur. Er wird jegliche Symmetrie vermeiden; sie ist eine Feindin der Natur und der Mannigfaltigkeit; und alle Alleen gewöhnlicher Gärten sehen einander so ähnlich, daß man stets in ein- und demselben zu sein glaubt..... ".

Sprecher:
Als Beispiel einer Gartenanlage nach seinen, heute würde man sagen, "ökologischen" Prinzipien, preist Rousseau dann den Garten der Julie: Dieser verzichtet auf Springbrunnen und teure Wasserspiele. Vielmehr wird das Wasser für die alte Schloßfontäne, deren Becken nun als nützliches Fischbassin dient, in einem Bach in den Garten geleitet, in dem Obstbäume, von Efeu und Wein umrankt ein exotisches Aussehen gewonnen haben:

Rezitator:
"Hier hat man weder Erdreich noch Steine hergebracht, weder Wasserpumpen noch Wasserspeicher angelegt, man braucht weder Gewächshäuser noch Öfen, weder Glasglocken noch Strohmatten. Ein fast durchgängig ebenes Erdreich hat sehr einfache Verzierungen erhalten. Gewöhnliche Pflanzen, gewöhnliche Bäume, einige kleine Wasserläufe, die ungekünstelt und ungezwungen dahinfließen, sind zu seiner Verschönerung hinreichend gewesen. Dies ist ein Spiel ohne Mühe, dessen Leichtigkeit dem Beschauer ein Vergnügen neuer Art verschafft...".

Sprecherin:
Rousseau verwirft also auch jene "englischen" Landschaftsparks, die all zu aufwendig verfahren. Sicherlich hätte er etwas gegen Sanspareil oder das luxuriöse Eremitenhäuschen des Markgrafen Friedrich in der Bayreuther Eremitage einzuwenden gehabt. Über den Park des "Mylord Cobham zu Staw" sagt er:

Zitator:
" Eine Zusammenstellung auserlesner, sehr malerischer Landschaften, deren Ansichten man in den verschiedenen Ländern ausgewählt hat, und wo, wie in den chinesichen Gärten.. alles natürlich erscheint, nur nicht die Zusammensetzung des Ganzen....-. Der Herr und Schöpfer dieser prächtigen Landschaft hat daselbst sogar Ruinen, Tempel, alte Gebäude erbauen lassen und verschiedene Zeiten, sowie verschiedene Orte sind dort mit mehr als menschlicher Pracht vereint. Aber eben darüber beschwere ich mich. Ich wollte, daß der Menschen Zeitvertreib stets das Aussehen von Leichtigkeit hätte, daß er nicht an ihre Schwäche erinnerte und daß man bei der Bewunderung ihrer prächtigen Werke nicht durch den Gedanken an die dafür aufgewendeten Summen und Arbeiten die Einbildunbgskraft ermüde.." (R. 506)

Sprecherin:
Es gäbe noch viele Aspekte der im 19. Jh. aufkommenden Vorliebe für dem englischen Geschmack. So hatte zum Beispiel Goethe in Weimar versucht, die Londoner "Vauxhalls", einen Lustgarten, in dem Händels Musik aufgeführt wurde, zu kopieren und im kurfürstlichen Park Musikfeste abzuhalten. Wichtig erscheint unter den vielen Bezügen nun aber vor allem eine Tradition, die man bisher zu wenig beachtet hat. Die Engländer sind Spaziergänger und "Sportsmen", wie man so schön sagt - und man versteht vielleicht nur, was ein "Sportsman" ist, wenn man sich klarmacht, daß das Wort "Sport" von "disport" kommt, einer Bezeichnung für die Zerstreuung des Adels im Freien.

Sprecher:
"Disport", sei es beim Reiten, beim Bogenschießen oder bei der Jagd, ist eine Art friedlicher Wettkampf. Der "Sportsman" ist also ursprünglich nicht der, der Sport treibt um fit zu bleiben, sondern der Gentleman, der mit einer gewissen Haltung, die seiner Schicht und seinem Lebensgefühl angemessen sind, gewisse Herrenspiele spielt: Polo, Golf, Tennis, die Fuchsjagd, das Bogenschießen. Dies alles sind Betätigungen, die freie, große Rasenplätze und weite Sicht voraussetzen, Landschaften, in denen hier oder da ein Baum, eine Buschinsel, ein Wassergraben, ein Teich oder ein Wäldchen sich findet, in denen man fahren oder reiten kann ohne ständig behindert zu sein. - Der englische "Stil", jenes uns mehr oder weniger sympathische trockene Flair des generösen, weltläufigen und moralisch nicht engstirnigen stattdessen aber fairen "sportsman", ist durch kein Bild besser nachzuvollziehen, als durch den englischen, fast schmucklosen Park.

Sprecherin:
- Die Grundbedeutung des Wortes "parcus" ist die lichte, gehegte Stelle im Wald, eine Fläche, auf der es möglich war, das höfische Leben des Mittelalters in Glanz zu entfalten. Wettspiele, Pferderennen, Tanzveranstaltungen, die Begegnung der guten Gesellschaft in der Natur und ihre Selbstdarstellung im Spiel, im Wettkampf, in der Jagd bilden also das Grundverständnis dessen, was sich in Europa nun als englischer Geschmack ausbreitet und eingeht in die großen Volksparks in Berlin, München, Paris, was nun dem aufstrebenden Bürgertum einen Ort der Promenade, des "Sehens und sich Sehenlassens" errichtet, was eingeht in die Sport- und Körperkultur etwa des Turnvater Jahn und schließlich auch in die Freizeit- und Vergnügungsparks Tivolis und Leisure- Center wie sie heute überall auf der WElt bestehen.

Erzähler:
(Atmo, Wind weht, der Autoverkehr ist von fern zu hören, Schritte
= Atmo 1)
Eine grüne Wiese und Bäume sei nichts, sagen Sie? Ein Weg, der sich aus dem Wäldchen heraus auf eine Baumgruppe zu und um diese herum bewegt, sei langweilig? Sonnenschein, Vogelzwitschern, der leichte Bezingeruch, der daran erinnert, daß man nicht irgendwo in den Gärten der Hesperiden, sondern in unserer doch höchst interessanten Alltäglichkeit herumspaziert; diese Atmosphäre der Weltpolitik, des Zeitunglesens und der Nachrichten, die sich ins Grün mischt, das gibt Ihnen nichts? -.... Sie wollen lieber einen Barockpark besichtigen?...
Ich rate Ihnen dringend zu einem Besuch des alltäglichsten, normalsten schlichtesten grünen Parks, der dazu noch viel zu groß ist, als daß er jemals überlaufen sein könnte. Hier können Sie einfach gehen und ein Piknik machen, ohne zuerst mit dem Auto eine Stunde in der prallen Sonne herumzufahren und dann EIntritt zu bezahlen,... hier gibt es Wind, Vögel, Flugzeuge und ein Werbeschild, das zum Autokino Marienberg einlädt... Ich frage mich immer wieder, warum hier niemand ist, warum man hier bestenfalls einmal einen Radler vorbeistrampeln sieht. Sind die Gaststätten zu weit? Gibt es nichts zu besichtigen? Sind wir nicht mehr in der Lage miteinander und der Welt gegenüber jene leichte und generöse Haltung zu bewahren, in der man lustvoll flaniert ohne zu besichtigen, einzukaufen oder in Bundfaltenhosen einen vorgespurten Rundwanderweg abzuwandern?....
(man hört ein Flugzeug)

Sprecher:
Ein Hügel ist weiter vorn zu sehen. Man geht vielleicht ein halbes, dreiviertel Stündchen dorthin. Der Hügel ist künstlich aufgeschüttet. Hierher wurden nach 1945 die Trümmer der Reichstadt Nürnberg geschafft.... Sandsteine, verkohlte Balken, Erkerchen, Türme, Klostermauern, die Dachziegel und Mauerteile des ganzen Burgviertels, Schutt, Asche, Stahldraht, Knochen, Möbel - ein ganz besonderer Berg also. Man geht darauf zu, im Wind. Die Spuren des Krieges sind ausgewischt - nur das - Spazierengehen...., es scheint, das dazu eine Gesinnung gehört, die wir nicht ohne weiteres aufbringen, etwas Leichtes, Selbstbewußtes und zugleich Gepflegtes etwas... -.

Zitator:
" So riß ich mich denn eines Morgens gewaltsam los und ging ohne viel Umstände gleich zu Fuße fort, durch Wald und Flur, den entfernten blaunen Bergen zu, neuen Abenteuern entgegen, wie ich hoffte, wenngleioch nicht mehr mittelalterlichen mit lanze und Schwert, sondern eben nur friedlich humoristischen des neunzehnten Jahrhunderts mit Spazierstock und Reisejournal..."

(Man hört die Geräusche eines Grillfestes, Menschen auf Decken, Piknickleben, Ausländer.. (Band Nr. )

Erzähler:
Wenn man wieder hinuntersteigt vom Schuttberg, unter dem die Trümmer Nürnbergs liegen, sieht man am südlichen Abhang ein seltsames, sich jeden schönen Sonntag wiederholendes Schauspiel. Hunderte von Menschen auf Decken, Klappstühlen, neben kleinen Grills, die Kinder dazwischen, Bäume, die Autos glänzend im Laub. Wie in einem Freibad, nur ohne Becken und irgendwie bunter, Die Menschen gehen keine hundert Schritt vom Parkplatz weg, breiten Decken aus und machen sich ihr Kebab, ihre Köftes, trinken, essen, plaudern, spielen Fußball, die Männer unterhalten sich in Gruppen stehend, die Frauen sitzend zwischen spielenden Kindern. - Manche aalen sich sehr deutsch in Liegestühlen, die älteren Frauen haben Kopftücher auf, die jüngeren eine Sonnenbrille....
..Liebespare machen einen Rundgang unter den Augen der Eltern Andere lieben sich weiter weg. Zwei würdige Familienväter ins Gespräch nebeneinander gehend. - Ein Getränkestand, ein Kinderspielplatz. Ja, die Türken braten Kebab über den Trümmern der Stadt - Die Deutschen gehen woanders hin. In den Zoo. SIe sitzen in den Autos und fahren aufs Land oder machen einen Besuch und sitzen kaffetrinkend im eigenen Gärtchen. Jeder für sich....
(Atmo bleibt einen Moment stehen)

Sprecherin: (etwas Unwirkliches im Tonfall, kein Hall!)
"Der Jäger begriff nicht, wie der Orient plötzlich hierher komme: sein Erstaunen wuchs aber, als der Türke, dessen blasses und geistreiches Gesicht etwas ungemein Gelangweiltes offenbarte, ihn in reinem Deutsch nach der Entfernung des Schlosses fragte... Als er den Fremden bei der Antwort näher ansah, schoß ihm plötzlich eine Erinnerung durch den Kopf, ein sehr ähnlicher Kupferstich, den er kurz vor seiner Abreise gesehen hatte, fiel ihm ein und es wurde ihm klar, daß er so glücklich sei, den berühmtesten Reisenden der Gegenwart zu erblicken, denn seit den von Goethe hochgelobten Briefen eines Verstorbenen von 1830 - war der Name des lebens- und Gartenkünstlers Pückler Muskau der unter dem italienischen Pseudonym "Semilasso" - der Halbmüde - Norafrika und den nahen Osten durchstreifte, in aller Munde und tauchte ständig in den Skandalchroniken auf... Seine 1834 erschienenen Andeutungen über Lanschaftsgärtnerei sind bis heute ein Geheimtip geblieben....".

Erzähler: (ohne Atmo)
Als ich hierherkam heute morgen, fuhr ich an einer Stadtbrache vorbei. An einer Ausfallstraße im Osten. Ein riesiges Grundstück gegenüber den Geschäftsräumen eines Elektrokonzerns. In der Mitte Schutthügel, Büsche, ein winziger See. Birken, laubschütter in Gruppen, das Gras sehr kurz, so als würde die Stelle als Schafweide dienen. Beherrscht wurde das Gelände von einem malerischen Tujabaum, der in der Mitte gespalten und wieder ausgeschlagen war, so als hätte der Blitz vor Jahren einmal eingeschlagen. Das Gras erinnerte fast an Golfrasen.. aus den umliegenden Hausgärtchen wurde hier Müll abgelagert, die Reste, hatten sich über die Brache verteilt, hier und da war etwas davon aufgegangen, ein Zierginster, ein Rest Buchenhecke, ein verkrüppelter Flieder, Tuja, Weißdorn. Dies alles, einschließlich einiger Kanalrohre, die seit Jahren hier lagen, den sandigen Dünen, über die Fahradspuren liefen und einem Kissen, das aufgebrochen war und dessen Federn den Rasen weiß bestäubt hatten, formte einen bizarren Garten eigener Art, einen Garten, wie ihn nur die Zeit und der Zufall und der Müll zustandebringt, und auf diesem Stück Land, das völlig leer im Morgenlicht lag, stand ein Mann mit erhobenem Golfschläger. -
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Der Mann stand regungslos da und hielt den Schläger. Ab und an senkte er ihn, sah nach vorn, konzentrierte sich wieder und sah hinab auf den Schläger. Es mußte jetzt Frühstückszeit in den Hausgärten rundum sein und das Kaffeegeschirr klapperte unhörbar und eindringlich. - aber dieser Mann stand da, hob den Golfschläger, verharrte, senkte ihn langsam sah, nach unten, wo der Ball lag -
(Mahler I. 2 sekunden, dann:)
...aber er schlug den Ball nicht ab.

Reinhard Knodt (www.reinhard-knodt.de)


 

  bik Autor des Projekts »parkTV« ist das buero für integrative kunst. Die Basis von dem buero ist die Kooperation über die Grenzen der Professionen hinaus...
Buerovorstellung
Textsammlung
Impressum
   
Foto ZEIT
   
E-mail Kontakt
 
Links
Buero Website
Buero Mailingliste
work about work

 

 

 
Kontext

Reinhard Knodt:
www.reinhard-knodt.de

Radiosendung:
Pfingstsonntag 93/ Bayern II.

Redaktion:
Rainer Lindemann BR /Studio Franken


Impressum | Kontakt | Hilfe © 2001—2004 buero für integrative kunst (Jörg Amonat, Stefan Krüskemper, Johannes Volkmann) sowie die jeweiligen Autoren und Künstler.